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Der Nordkurier hat einen sehr schönen Artikel zur Geschichte der Uckermark veröffentlicht, den ich hier komplett wiedergebe (Link auf den Text am Ende des Beitrags):

>>Artikel vom 18.07.2011

“Gen Ostland wollen wir reiten”

Bildunterschrift: “Ukrasvan” heißt ein Slawenboot, das seit 2004 Ober- und Unteruckersee sowie andere schiffbare Gewässer um Prenzlau pflügt. Das Schmuckstück ist ein originaler Nachbau aus der Zeit vor etwa tausend Jahren. Foto: K. Bruske

Die Karte der südwestlichen Uckermark von 1667 gibt den Stand von um 1261 wieder. Sie ist wie damals nicht unüblich “auf den Kopf gestellt”. Zu erkennen ist, dass die Uckermark damals weiter nach Süden reichte. Der Oberuckersee ist am unteren linken Bildrand angedeutet. ReprO: Klaus Bruske

Siedler. Die Uckermark zählte vor 800 Jahren zu den wohlhabendsten und freiesten Regionen des “Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation”.

Von Klaus Bruske

Berlin. “Die Uckermark”, pflegte der erste Ministerpräsident Brandenburgs, Manfred Stolpe, halb im Scherz zu sagen, “das ist da, wo Brandenburg am schönsten, aber auch am ärmsten ist”. Einmal davon abgesehen, dass es mit dem Armutsbegriff im historischen Kontext so eine Sache ist; es gab eine Zeit, da zählte die Uckermark zu den wohlhabendsten und freiesten Regionen im “Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation”. Das aber gemessen mit den Maßstäben des Hohen Mittelalters.

Vor 750 Jahren, um 1261, kam “Go Ost”, der große deutsch-slawische Landesausbau und Umbau, die “Ost-Kolonisation”, zum ersten Abschluss. Dies verwandelte das Siedlungsgebiet der beiden westslawischen Urstämme der Uckermark, der Ukranen (Ucrani) und Retschanen (Riaciani), in eine Landwirtschaft- sowie Kulturlandschaft erster Güte. “Gen Ostland wollen wir reiten, gen Ostland wollen wir gehn, wohl über die grüne Heiden, da werden wir besser uns stehn”, heißt es in einem Spruch aus dem 13. Jahrhundert.

Begonnen hatte der große Aufbruch aber gut drei Neusiedler-Generationen zuvor, vor 850 Jahren, um 1161, als der Treck sich im großen Maßstab in Gang setzte. “Hinrik de Leuw und Albrecht de Bar, darto Frederik mit dat rode har, dat waren dree Heren, die kunden die Welt verkehren”, lautet ein Sinnspruch, der im Hohen Mittelalter in vieler Munde war. Gemeint waren drei Zeitgenossen: der Römisch-Deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa; der Herzog von Bayern und Sachsen Heinrich der Löwe sowie Albrecht der Bär aus dem Hause Anhalt oder Askanien, der sich seit 1157 “Markgraf von Brandenburg” nannte.

Alle drei waren Kreuzfahrer. Kaiser Rotbart zog es auf seine alten Tage mit dem deutschen Ritter-Kontingent des “Dritten Kreuzzuges” ins Heilige Land. Heinrich der Löwe und Albrecht der Bär fochten im “Wendenkreuzzug” 1147 mit, der das Ziel hatte, die heidnischen Götter der Westslawen wie Radigast, Swantewit oder Triglaw zu vertreiben sowie die Seelen etwa der Retschanen und Ukranen in der christlichen Heilslehre aufzufangen. Jener “Wendenkreuzzug” erwies sich als entscheidender Schicksalsschlag, der der Freiheit und Selbstständigkeit der Ur-Uckermärker ein Ende sowie dann um 1161 jene systematische deutsch-slawische Um- und Neubesiedlung der Region in Gang setzte. Allerdings fielen bei Aufteilung der Beute anno 1148 auf dem Fürstentag zu Havelberg nicht dem Markgraf von Brandenburg Albrecht den Bären, sondern Pommernherzog Ratibor I. die fettesten Happen zu.

Lieselott Enders schreibt in ihrer Uckermark-Geschichte: “Am fragwürdigsten war 1148 die Stellung Albrechts des Bären. Er musste, ob nun selbst anwesend oder vertreten durch seinen Sohn (den späteren Markgrafen Otto I., kb) zugestehen, daß wesentliche Teile der Nordmark, die fruchtbaren Länder der Redarier und der Ukranen, an Pommern fielen. Was ihm verblieb, war genau genommen nur das Gebiet der Retschanen (am Oberlauf der Havel, in etwa im weiten Siedlungsbogen Lychen-Fürstenberg-Templin-Gransee-Zehdenick-Liebenwalde, kb), dünn besiedelt und einigermaßen abseits gelegen, doch nahe dem ihm verhießenen Havelland (das Siedlungsgebiet der Heveller um Rathenow, Brandenburg/Havel, Potsdam und Spandau, kb) und eine, wie sich zeigen wird, wichtige Position auf dem Wege zum politischen Fernziel: Oder und Ostseeküste.”

In jener Startphase vor 850 Jahren walteten und schalteten so im Siedlungsraum der Retschanen und Ukranen zwei hochmittelalterliche Großkräfte: Um die spätere Uckermark-Hauptstadt Prenzlau, in seiner neuen “provincia Ukera”, sowie bis zur Oder Pommernherzog Ratibor I. und seine Nachkommen mit ihren Vögten, Rittern und Reisigen, mit ihren Ansiedlungs-Lokatoren, eingewanderten Bauern und Bürgern aus fast allen Regionen des deutschen “Altsiedlungsgebietes” und nicht zuletzt mit ihren Geistlichen und Mönchen. Brandenburgs Markgraf Albrecht der Bär und seine Nachfolger beförderten mit ähnlich zusammengesetzter Siedlerschar in und um die Wohnstätten des “Riaciani” genannten Ur-Stammes den Fortschritt.

Erst ein Jahrhundert darauf, im Vertrag von Landin 1250, pressten Albrechts Urenkel, Brandenburgs lange gemeinsam regierende Brüder und Markgrafen, die beiden Landsammler und Städtegründer (Neubrandenburg anno 1248) Johann I. und Otto III., dem Pommernherzog Barnim I. den großen “Rest” der Uckermark mit Prenzlau ab. Lieselott Enders nennt das “die Geburtsurkunde der Uckermark”.

Die Agrarkonjunktur und der Bevölkerungsüberschuss im Westen des Deutschen Kaiserreiches ließen damals die Einladungen der Brandenburger und Pommern an die “Altsiedler” auf offene Ohren treffen. Albrecht der Bär versandte laut Helmolds “Slawenchronik” vor etwa 850 Jahren einen ersten Siedlungsaufruf: “Zuletzt, da die Slawen allmählich verschwanden, schickte er nach Utrecht und den Rheingegenden, ferner zu denen, die am Ozean wohnen und von der Gewalt des Meeres zu leiden hatten, nämlich an die Holländer, Seeländer und Fläminger, zog von dort ein großes Volk herbei und ließ sie in den Burgen und Dörfern der Slawen wohnen.”

Jener Aus- und Umbau vorhandener slawischer Siedlungen prägte die erste Phase von “Go Ost”. Bald ging man aber auch in der Uckermark zur systematischen Besiedelung von Brachen, zu rodenden Wäldern und der märkischen Heide über. An die 2000 neue Dörfer ntstanden in der Markgrafschaft Brandenburg, davon mehr als 300 in der Uckermark. Sowohl die Pommernherzöge als auch die Brandenburger gewährten hierbei das damals freieste aller deutschen Bauern- und Siedlerrechte, das “ius teutonicum”, gleichgültig, ob seine Empfänger alt-deutscher oder alt-slawischer Herkunft waren.

Fast ausnahmslos aben die Brandenburger Städte, auch Berlin-Cölln, ihre Ursprünge in der Askanierzeit. Prenzlau aber wurde 1234 von Barnim I. mit dem “Magdeburger Stadtrecht” geadelt. Meist als imposante Ruinen – Gramzow, Chorin oder Himmelpfort – zeugen heute die Klöster vom großen Aufbruch. Er vollzog sich auf landwirtschaftlicher, städtischer, geistlicher sowie rechtlicher Ebene. Die “erste Geige” spielten die Lokatoren. Die Markgrafen und Herzöge bedienten sich ihrer beim großen Siedlungswerk. Sie konnten von Adel, bürger- und bäuerlicher Herkunft, Deutsche, aber auch slawische “Edle” und Freie sein. Milmersdorf bei Templin zum Beispiel wurde von einem Lokator namens Milobratr begründet.

Lieselott Enders macht neun Adelsfamilien als besonders eifrige Lokatoren namhaft: die Herren von Bentz, von Blankenburg, von Boitzenburg, von Greiffenberg, von Kerkow, von Kochstedt, von Stegelitz, von Tornow und von Wustrow. Zitat: “Diese neun haben nicht nur als Lokatoren gewirkt und mit ihren Herkunftsnamen (außer den letzten beiden) die neuen Siedlungen benannt. Sie sind vielmehr in beiden Teilen der Uckermark wohl als Siedlungsunternehmer größeren Stils zu werten, die im Auftrag und mit Vollmacht der beiden Landesherrn das zur Besiedlung freigegebene Land aufteilten, vermaßen oder vermessen ließen und Verwaltungsfunktionen ausübten.”

Die Expertin fasst zusammen: “Hundert Jahre nach dem Wendenkreuzzug war das Landschafts- und Siedlungsbild der Uckermark bereits tiefgreifend verändert, dank des Bevölkerungsüberschusses im Altsiedelland und anhaltender Agrarkonjunktur Die persönliche Freiheit und Freizügigkeit galt für alle Dorfbewohner, die sich zum Siedlerrecht niedergelassen hatten, für Angehörige aller Nationen, vor allem Deutsche und Slawen. Solange die Agrarkonjunktur währte und der Markt gute Preise bot, solange vor allem Frieden herrschte, muß auf dem Lande Wohlstand geherrscht haben. Die progressive Entwicklung kam erst im 14. Jahrhundert zum Stehen.”

Buchtipps:

Lieselott Enders: Die Uckermark – Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert. Verlag Hermann Böhlau, Weimar 1992, ISBN 3-7400-0805

Johannes Schultze: Die Mark Brandenburg. Duncker&Humblot, Berlin, ISBN 3-428-01376-X

Ingo Materna, Wolfgang Ribbe (Hrsg): Brandenburgische Geschichte. Akademie-Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-05-002508-5

Georg Holmsten: Brandenburg – Geschichte des Landes, seiner Städte und Regenten. edition arani, ISBN 3-7605-8627-9.<<

“Gen Ostland wollen wir reiten”